Eine junge Frau sitzt unter provisorischen Zeltplanen, nachdem sie durch das schwere Beben im März 2025 ihr Zuhause verloren hat.

Sechs Wochen nach Beben in Myanmar Leben in Zelten - neben den Trümmern

Stand: 10.05.2025 14:04 Uhr

Ende März traf ein verheerendes Erdbeben Myanmar. Der Wiederaufbau ist in dem krisengeschüttelten Land nur in winzigen Schritten möglich. Und wird durch Hürden erschwert, wie Hilfsorganisationen berichten.

Von Anna-Lou Beckmann, ARD Singapur

Oliver Esser lebt seit etwa 30 Jahren in Myanmar. Für den Verein "Köche ohne Grenzen" hat er in den vergangenen Wochen mehrfach Lebensmittel und Trinkwasser in die vom Erdbeben am stärksten betroffenen Gebiete gebracht.

Die Aufräumarbeiten hätten dort teilweise begonnen. Der Deutsche schildert, dass Straßen und Brücken notdürftig repariert würden. Allerdings müssten die Menschen, deren Häuser zusammengebrochen seien, die Trümmer mit eigenen Händen abtragen. Sie abbauen zu lassen, könnten sich die meisten nicht leisten. "Es gibt keine Programme der Regierung, die hier irgendwelche Hilfestellung leisten", kritisiert Esser.

Kaum Notunterkünfte vorgesehen

Unzählige Menschen haben durch das Beben ihr Zuhause verloren und stehen vor dem Nichts. "Keiner weiß bisher, wie es weiter geht - wo man wohnen möchte, wo man wohnen muss, wo man wohnen kann", sagt Esser weiter. Es gebe keinen Platz, es sei nichts vorgesehen. Und im Juni soll die Schule wieder anfangen. "Das heißt, diejenigen, die in den Schulen wohnen, müssen die dann verlassen und es gibt keine Sicherheiten", betont Esser.

Das eigene Haus wieder aufzubauen, sei für die meisten keine Option. Laut Esser werden Baumaterialien in Myanmar immer teurer. "Ein Sack Zement, der sonst 10.000 oder 12.000 Kyat gekostet hat - das sind etwa zwei Dollar - kostet jetzt 35.000 bis 40.000 Kyat. Das können die Menschen sich nicht mehr leisten", berichtet er.

Leiden unter der Hitze

Viele Menschen leben seit dem Erdbeben in provisorischen Zelten oder unter Planen - in Parks, auf Fußballfeldern, auf Gehwegen oder neben den Trümmern des einstigen Zuhauses.

Dabei sind die aktuellen Temperaturen von teilweise mehr als 40 Grad Celsius ein Problem, warnt Katharina Kiecol von der Hilfsorganisation Malteser International. Eine Großmutter, die mit ihren beiden Enkelkindern in einem solchen Zelt lebe, habe erzählt, dass ihr Enkel immer wieder ohnmächtig werde. Weil es einfach so heiß sei in dem Zelt, dass sie darauf achten müsse, dass er genug Luft zum Atmen habe.

Mit dem Monsun drohen Krankheiten

Zudem seien die Menschen den starken Regenfällen in ihren Behelfsunterkünften schutzlos ausgeliefert. Deshalb stehen die Hilfsorganisationen unter Zeitdruck. Sie rechnen damit, dass ab Mitte Juni die Monsunzeit in der Region beginnt.

Damit steige das Risiko für Krankheiten, sagt Lena Pflueger, die für Ärzte ohne Grenzen einen Monat lang in Myanmar war. "Dann bleibt Wasser stehen. In diesem stehenden Wasser vermehren sich Mücken sehr, sehr gut. Und diese Mücken übertragen Malaria und Dengue-Fieber", warnt sie. Gleichzeitig gingen mit starken Regenfällen auch Überflutungen einher. Umstände, unter denen Toiletten überlaufen und sich Abwasser mit normalem Wasser mische. "Dann verbreiten sich Bakterien und dann hat man sehr, sehr schnell einen Ausbruch von eben diesen über Wasser übertragbaren Krankheiten, wie eben Cholera", so Pflueger weiter.

Und diese Krankheiten würden sich in den Behelfsunterkünften schnell ausbreiten. Bevor der Starkregen einsetzt, wollen die Helfer deshalb in den betroffenen Gebieten noch mehr Hilfsmittel verteilen. Laut Pflueger ist es aber auch sechs Wochen nach dem Beben eine Herausforderung, Hilfe in verschiedene Regionen zu bringen.

"Ein krisengebeuteltes Land"

Auch andere Hilfskräfte schildern Probleme. Nicht immer könnten sie sich schnell und einfach bewegen. Gerade in den Regionen, in denen die Opposition stark ist, sei das Militär präsenter als sonst.

Und immer noch gibt es in zahlreichen Orten keine intakte Wasserversorgung. Helfer schildern, dass der Strom und damit auch das Internet in manchen Gebieten regelmäßig ausfällt. Und die medizinische Versorgung in dem Bürgerkriegsland war schon vor dem Beben stark eingeschränkt. "Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wenn wir über Myanmar sprechen, wir in Erinnerung behalten, dass schon vor dem Erdbeben Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen waren", betont Kiecol von Malteser International. Myanmar sei "ein krisengebeuteltes Land, in dem es auch heute immer wieder Angriffe gibt. Es ist quasi ein Kriegsgebiet."

Versprochene Waffenruhe wird nicht eingehalten

Nach Angaben der Vereinten Nationen hat es seit dem Erdbeben Hunderte Attacken von Myanmars Armee gegeben - teils aus der Luft, auch auf die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete. Dabei hatte die Militärjunta eine vorübergehende Waffenruhe versprochen und diese erst vor wenigen Tagen verlängert. Seit dem Militärputsch vor vier Jahren befindet sich das Land im Bürgerkrieg.

Kiecol beschreibt weitere Probleme für die Helfer: Myanmar ist im jüngsten Index der Pressefreiheit erneut eines der Schlusslichter. Ausländische Journalisten dürfen nach wie vor nicht ins Land. Deshalb gibt es auch nur wenige Bilder der Zerstörung. "Das ist etwas, das uns beim Spendengenerieren wirklich vor große Probleme stellt", so Kiecol.

Oliver Esser ist mittlerweile ein viertes Mal auf dem Weg in die Erdbebengebiete. Gemeinsam mit lokalen Hilfsorganisationen verteilt er Essen. Reis, Hülsenfrüchte, Linsen und grünen Tee haben sie dabei. Und auch Schulsachen für die Kinder.

Einer ihrer Stopps wird die Hauptstadt Naypyidaw sein. "Dort bauen die Leute mit selbstgeschlagenem Bambus, den sie aus dem Wald holen, 15 Fuß mal 15 Fuß kleine Häuser auf. Und wir geben dann kostenlos das Dachmaterial und das Wandmaterial", so Esser. Ein Beitrag, durch welchen etwa 90 Familien wieder ein eigenes kleines zu Hause bekommen.

 

Anna-Lou Beckmann, ARD Berlin, tagesschau, 10.05.2025 12:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 10. Mai 2025 um 08:47 Uhr.