Demonstranten halten Plakate während einer Demonstration gegen den geplanten Standort der neuen chinesischen Botschaft vor dem Royal Mint Court in London, Großbritannien.
weltspiegel

Druck auf Geflüchtete aus Hongkong Chinas langer Arm - mitten in London

Stand: 11.05.2025 11:42 Uhr

Mehr als 150.000 Menschen sind aus Hongkong nach Großbritannien geflohen, seitdem die chinesische Regierung dort immer rigoroser gegen die Demokratiebewegung vorgeht. Doch auch in Großbritannien fühlen sie Chinas Macht.

Chloe Cheung lebt seit 2021 in London. Sie ist aus Hongkong geflohen, nachdem sie an den Protesten gegen den wachsenden Einfluss Chinas teilgenommen hatte. In der britischen Hauptstadt arbeitet sie für eine Nicht-Regierungs-Organisation, die sich für politische Gefangene und Freiheitsrechte einsetzt.

Im Dezember 2024 setzte die Polizei in Hongkong dann ein Kopfgeld auf Cheung aus. "China hat seinen langen Arm hierher ausgestreckt", sagt die 20-Jährige. "Sie wollen uns einschüchtern und zum Schweigen bringen. Mit dem Kopfgeld fordern sie andere auf, mich zu entführen und zur Botschaft zu bringen", sagt Chloe Cheung.

Sie fühlt sich unsicher in London, gibt ihre Handynummer nicht raus, kommuniziert nur über verschlüsselte Plattformen und wechselt oft den Arbeitsweg.  

Erspartes nicht mehr zugänglich

Auch Chloe Lo spürt den "langen Arm" Chinas mitten in London. Auch sie ist aus Hongkong geflohen. Doch der Neustart war schwierig - sie konnte ihr Erspartes nicht abheben.

Lo hatte knapp 70.000 Euro in einen Pensionsfonds bei der Bank HSBC eingezahlt. Die Bank verwehrte ihr jedoch die Auszahlung mit der Begründung, dass ihr Status zur Ausreise nach Großbritannien von den Hongkonger Behörden nicht anerkannt werde.

"Im ersten Jahr, als ich hier angekommen bin, konnte ich noch nicht einmal die Rechnung für die Heizung zahlen", sagt Lo. Ihr Vater hat den Kontakt zu ihr abgebrochen - aus Angst vor Repressionen in Hongkong.  

Die HSBC Bank in Hongkong, China.

Die Filiale der Bank HSBC in Hongkong. Eine Geflüchtete verdächtigt sie, im Sinne der chinesischen Behörden zu agieren.

"Die britische Regierung sollte besorgt sein"

Auch die britische Politik beschäftigte sich mit diesen Fällen. Natalie Bennett ist Grünen-Politikerin, sie sitzt im britischen Oberhaus und beobachtet den zunehmenden Einfluss Chinas seit Jahren: "Ich denke, die britische Regierung sollte besorgt sein, dass die Sicherheit und Freiheit einer jungen Frau bedroht ist, die hierherkam, um Zuflucht zu finden."  

In den Jahren 2019 und 2020 waren Hundertausende in der ehemaligen Kronkolonie auf die Straße gegangen. Sie protestierten für die Pressefreiheit, für die Redefreiheit, für Bürgerrechte. Für viele war schnell klar: Der zunehmende Einfluss Pekings wird unumkehrbar sein. 150.000 Menschen flohen allein nach Großbritannien.

 

Umstrittene Pläne für die Botschaft

Doch der Einfluss Chinas im Vereinigten Königreich könnte weiter wachsen: Im Zentrum in London hat der chinesische Staat eine Riesen-Immobilie gekauft, den Royal Mint Court, ein großer historischer Gebäudekomplex direkt gegenüber des Tower of London. Früher wurden hier die britischen Münzen geprägt. Das Gebäude soll die neue Vertretung Chinas beherbergen. Das größte Botschaftsgebäude im Vereinigten Königreich..  

Es gibt Sicherheitsbedenken, auch Kritik an der exponierten Lage. Sollten dort Demonstrationen stattfinden, würde gleich die ganze Gegend lahmgelegt werden. Deswegen hatte der Bezirk bereits interveniert. Nun liegt die Entscheidung bei der Regierung und soll bis Juni fallen.

Gegen das Projekt gibt es schon jetzt immer wieder Demonstrationen vor dem Gebäudekomplex. An ihnen haben auch Chloe Lo und Chloe Cheung teilgenommen.

Die britische Regierung tut sich schwer damit, China zu kritisieren oder gar in die Schranken zu weisen. Das Reich der Mitte ist ein bedeutender Handelspartner. Premier Keir Starmer hofft auf Investitionen.  

 

Vor dem Royal Mint Court in London (Großbritannien) demonstrieren Menschen gegen den Plan, dort die chinesische Botschaft unterzubringen.

Das neue Botschaftsgebäude soll sich über ein Areal von rund 20.000 Quadratmeter erstrecken. Dagegen gibt es anhaltende Proteste.

Sollte ein Demonstrant verschleppt werden?

China setzt seine Position vehement durch, was auch ein Zwischenfall am chinesischen Konsulat in Manchester im Jahr 2022 belegt: Damals demonstrierten Dissidenten vor dem Konsulat, Mitarbeiter des Konsulats rissen Banner nieder.

In dem Handgemenge wurde ein Demonstrant offenbar auf das Gelände des Konsulats gezerrt. Die englische Polizei konnte ihn befreien. Der Fall sorgte für großes Aufsehen. War dies ein Entführungsversuch? Zumindest wohl eine massive Einschüchterung.  

 

Der Preis einer offenen Gesellschaft

Zu Vorfällen wie diesen hat Nigel Inkster einen recht nüchternen Ansatz. Er war Direktor für Einsätze des britischen Geheimdienstes MI6. Er kennt China gut.

"Eine Stadt wie London ist voll mit Leuten, die Dinge tun, die die Regierung nicht will", sagt Inkster. "Das ist eine offene Gesellschaft und ausländische Geheimdienste sind hier in unterschiedlicher Art und Weise aktiv. Manchmal im Rahmen des Gesetzes, und manchmal eben nicht." 

Um das abzuwehren, gebe es eben leider nur begrenzt Ressourcen. Also versuchten die britischen Sicherheitskräfte, das Schlimmste abzuwenden, sagt der ehemalige MI6-Mitarbeiter. Gleichzeitig sieht Inkster im Fall von China den Konflikt von wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen.  

 

Die Demonstrationen gehen weiter

Für Chloe Lo und Chloe Cheung ist das ein eher schwacher Trost. Die beiden geben nicht auf. Sie demonstrieren weiter gegen die neue "Mega-Botschaft" im Zentrum von London.

Am vergangenen Wochenende versammelten sich hier wieder Tausende. "Wenn diese Pläne durchgehen", sagt Cheung, "werden sie noch mehr Ressourcen haben, mehr Platz, mehr Personal, um uns zu unterdrücken, um uns ruhig zu stellen".  

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Das Erste im Weltspiegel am Sonntag am 11. Mai 2025 um 18:30 Uhr.