
Kokainvorwürfe nach Zugfahrt Video mit Merz, Macron und Starmer sorgt für Aufregung
Bundeskanzler Merz, Frankreichs Präsident Macron und der britische Premier Starmer waren gemeinsam in Kiew. Im Netz geht ein Video viral, das einen angeblichen Kokainkonsum belegen soll. Doch Beweise dafür gibt es nicht.
"Es ist Kokain", schreibt der US-amerikanische Verschwörungsideologe und Radiomoderator Alex Jones auf der Plattform X. Schon zuvor hatte er ein Video gepostet, auf dem Bundeskanzler Friedrich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer zu sehen sind. In dem kurzen Clip sitzen die drei an einem Tisch, auf dem neben Gläsern und Heftern auch ein weißer Gegenstand zu sehen ist. Auch Fotografen sind offensichtlich anwesend. Nach einiger Zeit greift Macron den weißen Gegenstand und hält ihn verdeckt unter seiner Hand.
Jones und viele weitere im Netz behaupten, bei diesem weißen Gegenstand handele es sich um ein Päckchen mit Kokain. Bei einem dünnen, länglichen Gegenstand auf dem Tisch soll es sich Jones zufolge um einen Löffel handeln, der zum Schnupfen von Kokain verwendet werde. Er wird von Merz vom Tisch genommen. Allein das Video von Jones wurde auf X nach Angaben der Plattform 19 Millionen Mal Nutzern angezeigt, das Wort Kokain trendete auch im deutschsprachigen Raum zwischenzeitlich. Beweise für die Behauptungen gibt es jedoch nicht.
Französische Regierung und CDU dementieren Vorwürfe
Das Originalvideo lässt sich mithilfe einer Bilderrückwärtssuche schnell finden. Es stammt von der Nachrichtenagentur AFP. Auf YouTube ist exakt der Ausschnitt zu sehen, der auch in den sozialen Netzwerken viral geht. In der Videobeschreibung steht, dass Macron, Merz und Starmer sich dabei in einem Zug nach Kiew befinden. Die Regierungschefs hatten gemeinsam mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besucht.
Die französische Regierung reagierte bereits am Sonntag und dementierte die Vorwürfe. "Wenn die europäische Einheit unbequem wird, geht die Desinformation so weit, dass ein einfaches Taschentuch wie eine Droge aussieht", schreibt der Kanal des Élysée-Palasts auf X. Dazu postete der Kanal zwei Bilder aus dem Video. Eins davon zeigt den weißen Gegenstand in der Nahaufnahme. Dazu heißt es: "Dies ist ein Taschentuch. Um die Nase zu putzen."
Die CDU meldete sich auf X einen Tag später mit einer ähnlichen Nachricht. Sie schrieb: "Es ist tatsächlich nur ein Taschentuch. Aktuell wird von vielen Seiten versucht, die öffentliche Meinung durch Desinformationskampagnen zu beeinflussen. Feinde unserer Demokratie versuchen, gezielt die europäische Einigkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen. Wir halten dagegen. Wir stehen ein für Frieden, Freiheit und Verantwortung in Europa." Die AFP wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Video äußern.
Es gibt zudem noch weitere Bilder und Videoaufnahmen von der Szene. Dort ist der Gegenstand zum Teil deutlich schärfer zu erkennen als in den Videos in den sozialen Netzwerken. Zu sehen ist, dass der Gegenstand offensichtlich mehrere Falten enthält, wie ein benutztes Taschentuch. Der längliche Gegenstand, der neben einem Hefter vor Merz liegt, lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Die französische Tageszeitung "Libération" schreibt, dass es sich dabei um einen Rührstab für Getränke oder einen Zahnstocher handeln könne.
Russische Desinformation mit Kokainvorwürfen
Kokainvorwürfe gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und westlichen Politikern werden immer wieder von prorussischen Desinformationskanälen und auch offiziellen Kremlvertretern verbreitet. Auch die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa und die Chefredakteurin des russischen Fernsehsenders RT, Margarita Simonjan, nahmen die aktuellen Vorwürfe auf und teilten sie in ihren Telegramkanälen. Dazu schrieb Sacharowa unter anderem, dass Merz, Macron und Starmer offenbar vergessen hätten, die Beweise für ihren Kokainkonsum zu entfernen, bevor die Journalisten eintrafen.
"Die westlichen Staatschefs sollen damit diskreditiert und als nicht vertrauenswürdig dargestellt werden", sagt Julia Smirnova, Senior Researcherin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Narrative rund um Drogenkonsum werden von der russischen Propaganda seit Jahren eingesetzt, um die Ukraine und insbesondere den Präsidenten Selenskyj zu diskreditieren. Dabei werden in unterschiedlichen Variationen Falschbehauptungen wiederholt, die Selenskyj ständig in Verbindung mit einem Thema (Drogen) bringen, das starke negative Emotionen beim Zielpublikum hervorrufen soll." Außerdem solle Selenskyj damit als nicht zurechnungsfähig dargestellt werden.
Manipulierte Videos und Bilder als Belege
Auch von russischen Offiziellen werden diese Narrative immer wieder befeuert. In dem aktuellen Statement schreibt Sacharowa: "Im Jahr 2022 fragte ich einen westlichen Botschafter: 'Wie können Sie dem labilen Drogensüchtigen Selenskyj, der seit vielen Jahren Kokain konsumiert, Waffen liefern?'. Und ich erhielt die Antwort: 'Das ist ein normales Phänomen für die EU - viele westliche Staatschefs nehmen es'."
Und auch der Verschwörungsideologe Jones schreibt in seinem Post mit dem Kokainvorwurf, dass Selenskyj ein "bekannter Kokainliebhaber sei", der Merz, Macron und Starmer gerade erst empfangen hätte. Dabei war auch das falsch, denn das Video war auf dem Weg nach Kiew und somit vor dem Besuch entstanden.
Die Falschbehauptungen über Selenskyj seien in der Vergangenheit immer wieder mit manipulierten und aus dem Kontext gerissenen Videos und Bildern belegt worden, so Smirnova. So wurde unter anderem ein gefälschtes Video verbreitet, das Selenskyj angeblich beim Drogenkonsum zeigen sollte. Ein anderes Video eines Interviews mit Selenskyj wurde so geschnitten, dass der Kontext verändert wurde, um die Falschbehauptung zu verbreiten, er spreche über seinen Drogenkonsum. Dabei ging es in der Passage in Wahrheit um Kaffee.