Oberlandesgericht Prozessgebäude Stammheim

Baden-Württemberg Einsatzkräfte um getöteten Rouven Laur schildern Tat in Mannheim: "Dann ging das Geschrei los"

Stand: 06.05.2025 16:39 Uhr

Im Prozess um die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz, haben Kolleginnen und Kollegen des getöteten Polizisten ausgesagt. Die Tat habe sie verändert, sagen sie.

Mehrere beteiligte Beamte des Mannheimer Einsatzzuges, der die Infoveranstaltung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) am 31. Mai 2024 auf dem Mannheimer Marktplatz abgesichert hat, haben am Dienstag im Prozessgebäude des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart-Stammheim ihre Sicht auf den Tag der Tat geschildert. Ausgesagt haben ein Mannheimer Polizist und drei Polizistinnen, die zum sogenannten Einsatzzug gehören. Ihr Zugführer: der getötete Polizist Rouven Laur.

Der Zug ist unter anderem bei Demonstrationen oder Kundgebungen im Einsatz. Am 31. Mai waren sie in vier Gruppen aufgeteilt. Mehr als 20 Polizistinnen und Polizisten seien vor Ort gewesen, so schildern es die Beteiligten im Prozess. Vieles an diesem Tag sei sehr schnell gegangen. In der Verhandlung sitzt an diesem Dienstag auch die Mutter des getöteten Polizisten. Die Aussagen der Kolleginnen und Kollegen ihres verstorbenen Sohnes verfolgt sie gefasst. Einige nicken ihr zu, andere sagen ein paar Worte. Selbst stellt sie keine Fragen.

"Haben uns gefragt: Warum ist die Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz?"

Am Vormittag sitzt unter anderem eine 24-jährige Polizistin aus Mannheim im Zeugenstand. In kurzen Sätzen berichtet sie über den 31. Mai. Sie versucht auseinanderzuhalten, was sie im Video zur Tat bereits gesehen hat und was ihre eigene Erinnerung ist. Schon ihrem Polizeikollegen, der zuvor befragt wurde, fiel das nicht leicht. Sie alle haben das Online-Video des Livestreams gesehen, das die Minuten des Messerangriffs von Sulaiman A. zeigt.

Der sitzt regungslos, die Arme vor der Brust verschränkt, im schwarzen Hemd hinter Panzerglas. Wie an jedem Prozesstag wird der Angeklagte von zwei Justizvollzugsbeamten flankiert. Bei jeder Unterbrechung werden ihm Handschellen angelegt und er muss den Saal verlassen. Das ist Routine, und dennoch wandern die Blicke immer wieder auf diese Szene. Seine Tat habe die Stadt, das Polizeipräsidium in Mannheim verändert, erzählen die Beamten. Eine der zwei Polizistinnen, die im Prozess befragt werden, sagt, alle seien nach der Tat "wie in Trance" gewesen. Viele seien in Gedanken bei der Familie Laur gewesen. An diesem Dienstag geht es aber nicht nur darum was nach der Tat geschah, sondern vor allem darum, wie der Einsatz ablief.

Wir haben uns schon alle gedacht, dass es da auf dem Marktplatz Ärger geben könnte. Wir hatten uns auf verbale Streitigkeiten vorbereitet. Aber dafür ist der Einsatzzug ja da. Mannheimer Polizistin

Deutlich wird: Viele Polizistinnen und Polizisten aus dem Polizeipräsidium Mannheim haben sich gefragt, warum diese Kundgebung auf dem Marktplatz stattfinden muss. Dort, wo das multikulturelle Mannheim pulsiert. Und auch viele Musliminnen und Muslime täglich vorbeikommen. Die Polizistinnen und Polizist ahnten bereits vorher, dass alleine der Ort Konfliktpotenzial in sich birgt.

Situation bei Kundgebung sollte "entwirrt" werden

Seit Beginn des Prozesses im Februar steht immer wieder die Frage im Raum, warum diese Hauptverhandlung so viel Zeit einnimmt. Das Video zeigt die Tat minutiös. Der Verlauf scheint klar zu sein. Der Täter ist geständig. Eine einfache Erklärung für diese Dauer: Es gibt viele Beteiligte, Nebenkläger, Zeugen, Experten und Sachverständige. Jeder hat das Recht, gehört zu werden. Oder muss gehört werden. Der Fall ist komplex. An diesem Dienstag wird aber noch ein anderer Punkt deutlich: Das Video zeigt nicht jeden Polizisten oder jede Polizistin vor und nach der Tat. Nicht jedes Detail. Sondern nur Ausschnitte. Man kann zwar interpretieren, warum einige so handelten, wie sie es taten. Erklären können sie es nur selbst.

Es geht also um das, was nicht zu sehen ist. Zum Beispiel, dass alles schon zu Beginn des Einsatzes sehr schnell ging. Eine Polizistin schildert, dass viele vor dem Einsatz noch einmal eine Toilette aufsuchten. Bereits wenige Minuten nachdem sie sich wieder an den Polizeifahrzeugen aufgestellt hatten, ging es los. Die Beamten beschreiben eine unübersichtliche Lage. Mehrere Personen hätten miteinander gekämpft. In einer solchen Situation versuche man, erst einmal Menschen voneinander zu trennen. Alles zu entwirren. Alle Polizistinnen und Polizisten berichten von Schreien. Lauten Geräuschen. Viele rannten los, auch wenn die Schilder der Kundgebung ihnen die Sicht nahmen.

Das, was Rouven machte, war völlig in Ordnung. Mannheimer Polizist über den getöteten Zugführer

Das Tatmesser hatten einige der beteiligten Polizistinnen und Polizisten erst spät wahrgenommen. Auch das könnte man durch das Video anders deuten. "Ich habe das Messer erst gesehen, als es bei Rouven im Kopf steckte", sagt einer der Polizisten am Dienstag. Er ging zunächst von einer Schlägerei aus. Eine Polizistin schreit - hörbar für alle - "Messer". Das hören in diesen Augenblicken alle. Daraufhin ändert sich die Situation. Die Beamten sehen, wie ihr Einsatzleiter niedergestochen wird. Es fällt ein Schuss. Emotional, die Stimme von Tränen erstickt, schildert eine andere Polizistin die Minuten nach der Tat. 

Rouven stand vor mir und hat wie durch mich durchgeschaut. Die Tat hat uns alle aus dem Leben gerissen. Mannheimer Polizistin

Sie war es, die versuchte, die Blutung von Rouven Laur zu stoppen. Eine junge Polizistin, die bereits mit sechzehn Jahren zur Polizei ging. Im Prozess erzählt sie, wie sie den schwer verletzten Zugführer bis in den Schockraum des Mannheimer Uniklinikums begleitete, selbst noch blutüberströmt. Bis heute macht sie eine Trauma-Therapie. Der Beruf als Polizistin sei ihr Traumjob gewesen. Und sie wolle auch weiterhin bei der Polizei arbeiten.

Alle an diesem Dienstag schildern unübersichtliche Minuten während und nach der Tat. Polizistinnen und Polizisten rennen zu Einsatzfahrzeugen. Suchen Verbandsmaterial. Eine Beamtin findet ein Smartphone, ihr eigenes verliert sie. Eine weitere Polizistin sitzt auf den Unterschenkeln des angeschossenen Angreifers, dessen Schusswunden von wieder anderen versorgt werden. Ob Sulaiman A. in diesen Minuten noch bei Bewusstsein ist, weiß keiner mehr genau. Die Beteiligten wurden zum Teil mehrere Minuten nach der Tat auf ihren Dienststellen vernommen. Den Einsatz noch frisch in Erinnerung. Manches davon beschrieben sie heute anderes, und sagen das auch genau so.

Einsatzkräfte kannten offenbar nur wenige Details zu Pax Europa

Die Polizistinnen und Polizisten kannten vor der Veranstaltung am 31. Mai offenbar nicht viele Details zur islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa. Im Einsatzbriefing wird der Begriff "Kundgebung" verwendet. Davon berichten mehrere der Befragten. Einige Beamte hatten vorab Videos in Vorbesprechungen zu Pax Europa gesehen, andere erfuhren erst auf der Fahrt zum Marktplatz, wofür die Gruppe im Detail steht. Auch das wird im Prozess deutlich. Dass die Gefahr bereits vor der Veranstaltung am Größten sein wird, haben die Einsatzkräfte nicht unmittelbar auf dem Schirm. Man geht davon aus, dass es erst im Lauf der Kundgebung zur Diskussionen, vielleicht auch lauten verbalen Auseinandersetzungen kommen könnte. Darauf ist man vorbereitet. Auch in dem Moment, als es unübersichtlich wird. Die Einsatzkräfte kennen solche Situationen. 

Aussage: Messerangriff hat Polizeiarbeit in Mannheim verändert

Der Tod des Kollegen zog für die Polizistinnen und Polizisten aufgewühlte Tage nach sich. Viele berichten von immer wiederkehrenden Gesprächen mit Passanten bei ihren Einsätzen, beispielsweise nach der Fußball-Europameisterschaft. All das habe die Arbeit im Polizeipräsidium Mannheim verändert. Der Tod von Rouven Laur sei bis heute ein beherrschendes Thema. Nach der Tat wurden die Polizistinnen und Polizisten psychologisch betreut. Sie wurden zwei Wochen aus dem Dienst genommen, spielten Minigolf oder frühstückten zusammen. Es habe aber auch eine Polizistin gegeben, die sich sofort an einen anderen Dienstort versetzen ließ, heißt es am Dienstag. Vor allem aber schildern die Polizistinnen und ein Polizist unabhängig voneinander, dass sich ihr Arbeitsalltag verändert habe. Eine Polizistin fasst es so zusammen: "Eine Schlägerei ist nicht nur eine Schlägerei. Heute führen genug Leute Messer mit sich herum. Man ist auf jeden Fall vorsichtig. Und noch aufmerksamer."

Sendung am Di., 6.5.2025 16:30 Uhr, SWR4 BW Studio Mannheim

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