
Sachsen Kreatives Leipzig: Spinnerei feiert 20. Geburtstag
Dieser Ort ist der Inbegriff für die Neue Leipziger Schule: Die Spinnerei im Leipziger Westen feiert am Wochenende im Rahmen des traditionellen Spinnereirundgangs 20-jähriges Bestehen. Mitte der 1990er-Jahre wurde der ehemalige Industrie-Komplex neu erschlossen und Heimat für weltweit gefeierte Maler wie Neo Rauch oder Rosa Loy. Doch neben einem Laden für Kunstbedarf oder Theaterbühnen finden sich auch Ingenieursbüros und ein Callcenter auf dem Gelände – um die Finanzen zu sichern.
- Die Leipziger Spinnerei feiert am Wochenende ihr 20-jähriges Bestehen.
- Lange Zeit wurde auf dem Gelände Baumwolle verarbeitet, in den 2000er-Jahren entwickelte sich der Ort zum Hotspot für Kunst.
- Trotz viel Aufmerksamkeit und großer Erfolge bleibt die Sorge, ob sich Objekt immer selbst finanzieren kann.
Die Spinnerei im Leipziger Westen feiert Jubiläum. Vor 20 Jahren haben hier die ersten Galerien eröffnet. Bald darauf wurde das ehemalige Fabrikgelände zum internationalen Anziehungspunkt für Kunstinteressierte. Diesen Status hat der Kunstort bis heute bewahrt, wie auch der traditionelle Spinnereirundgang beweisen soll. Dann wird laut den Betreibern des Geländes das Jubiläum gefeiert.
Der besondere Charme der Spinnerei
"Maßgeblich an dem Erfolg ist eigentlich die sehr kluge Politik der Leute, die die Spinnerei hier managen", meint Judy Lybke, Betreiber der sehr erfolgreichen Galerie "Eigen + Art", die zum Jubiläum neue Arbeiten des gefragten Künstlers Neo Rauch präsentieren wird. Er begrüßt im Gespräch mit MDR KULTUR, "dass man das Gelände nicht mit einem Masterplan überzogen hat, sondern dass man geguckt hat, wer hat sich hier angesiedelt, was kann man daraus machen." Eine "Überregulierung", also zu klare Anforderungen an die möglichen Mietinteressenten, würde die Entwicklung hemmen.

Die Galerie Eigen + Art zeigt zum Jubiläum neue Arbeiten von Neo Rauch.
Auch Arne Linde von der Galerie ASPN schätzt die Freiräume und die Offenheit der ehemaligen Industrieanlage. Es sei nicht alles durchsaniert: "Jede Galerie sieht innen anders aus. Wir haben nicht die gleichen Türen und nicht die gleichen Kloschüsseln."
Zentrum der Neuen Leipziger Schule
Das Gelände zwischen den heutigen Stadtteilen Lindenau und Plagwitz wurde 1907 errichtet und war seinerzeit die größte Baumwollspinnerei in ganz Kontinentaleuropa. Auch in DDR-Zeiten lief der Betrieb auf Hochtouren. Nach der Wiedervereinigung wurde die Produktion zurückgefahren und 2001 das Werk schließlich geschlossen. Bald zogen die ersten Kunstschaffenden, die wenige Jahre zuvor noch an der Hochschule für Grafik und Buchkunst unter den großen Malern der DDR wie Bernhard Heisig und Arno Rink ausgebildet worden waren, auf das Gelände.
Darunter waren auch Namen wie David Schnell, Tilo Baumgärtel oder Rosa Loy. Die Kunst dieser Maler war zwar nicht unbedingt realistisch, aber immerhin figürlich. Fantasievolle Werke voller Anspielungen und Symbole. Obwohl sie kein gemeinsames Programm entwickelten oder einen einheitlichen Stil pflegten wurden sie unter dem Label der "Neuen Leipziger Schule" zusammengefasst.

Obwohl David Schnell mit geometrischen Farbflächen arbeitet, sind doch Szenen aus der Umwelt zu erkennen.
Als solche zogen sie internationale Aufmerksamkeit auf sich: Die Internationale Presse berichtete vielfach über dem Ort, der zum Freiraum für aktuelle Kunst geworden war. Der britische "Guardian" bezeichnete die Spinnerei 2007 als "the hottest place on earth". Menschen aus aller Welt kamen angereist, um die dort entstandenen Werke zu kaufen – auch für hohe Summen.
Herausforderungen trotz Erfolg
Trotz dieser Aufmerksamkeit bleibt es eine Herausforderung, die Spinnerei nachhaltig zu bewirtschaften. Unterstützung von Seiten der Leipziger Stadtverwaltung gebe es kaum, berichtet Galerist Lybke bei MDR KULTUR. Neben den Galerien gibt es auch den unabhängigen Ausstellungsort "Halle 14". Das Schauspiel Leipzig hat eine Außenspielstätte für performative Formate. Das Produktionshaus Lofft – Das Theater, das Leipziger Tanztheater und das Luru-Kino sind auf dem Gelände zu Hause.

Seit 2019 werden auf der Bühne des Lofft u.a. bemerkenswerte Produktionen des zeitgenössischen Tanzes aufgeführt.
Doch es geht nicht immer um Kunst: Neben einem großen Laden für Kunstbedarf mieten beispielsweise auch handwerkliche Betriebe, ein Ingenieursbüro und sogar ein Callcenter Räumlichkeiten.
120 Ateliers auf der Spinnerei
Doch im Fokus stehen weiterhin die Ateliers, von denen viele beim Spinnereirundgang für das Publikum geöffnet werden. An ungefähr 120 Künstlerinnen und Künstler wird derzeit vermietet. Dabei versucht die Verwaltungsgesellschaft, die Preise stabil zu halten: vier bis sechs Euro für den warmen Quadratmeter je nach Nimbus und Mietvertrag. Dafür wird genau hingeschaut, wer sich auf der Spinnerei einmieten möchte. "Man muss ein bißchen aufpassen, dass man sich nicht nur Leute einfängt, die denken, sie können sich hier reich malen", erzählt Bertram Schultze, Geschäftsführer der Verwaltungsgesellschaft, im Gespräch mit MDR KULTUR. "Die Ateliervergabe erfolgt durchaus durch eigene Recherche und Verfolgung von Leuten, der Ernsthaftigkeit ihres Ansinnens über einen längeren Zeitraum hinweg, oder eben auch durch die Empfehlung von Galerien und Galeristen.

Das traditionelle Papstporträt für Benedikt XVI. kam 2010 aus Leipzig.
Aktuell arbeitet beispielsweise Michael Triegel in einem der ehemaligen Fabrikräume. Er malt im Stile der Renaissance, seine Bilder leben von starken Farben und Kontrasten. Oft verarbeitet er religiöse und biblische Motive. Er porträtierte beispielsweise Papst Benedikt XVI. und schuf den umstrittenen neuen Marienaltar für den Naumburger Dom. Der Künstler schätzt die lange Geschichte des Ortes: "Es ist also nicht so das cleane Atelier, der White Cube, sondern man hat das Gefühl, diese Räume sind aufgeladen mit Arbeit. Und so verstehe ich auch mein künstlerisches Tun", so Triegel.
Eine anderer bekannter Mieter ist Hans Aichinger. Seine Bilder wirken, als würden sie die Realität noch überzeichnen. Er malt Menschen in schlichten Räumen, wie in der Zeit eingefroren. Sein Atelier in der Spinnerei ist ganz auf die Arbeit getrimmt, erzählt er MDR KULTUR. "Wobei ich mich sehr wohlfühle, beim Arbeiten. Es ist ein preisgünstiger Raum, der ist schön hell – immerhin ein halbes Leben, was ich hier drin verbracht habe", so Aichinger.

Die Bilder von Hans Aichinger sind wie Kammerspiele.
Leipzig bleibt Anziehungspunkt
Trotz der vielen großen Namen ist die Stimmung vor Ort angenehm geblieben, berichtet Galerist Lybke bei MDR KULTUR. Er spricht von einer "kollegialen Kommunikation": Die Kunstschaffenden besuchen gegenseitig ihre neuen Ausstellungen. Es gäbe keine gesonderten Räume für die Menschen mit gesteigerten Kaufinteresse. "Man kommt zusammen" und das würde laut Lybke auch den Leuten helfen, die nicht in der Kunstszene zu Hause sind.

Beim Spinnerei-Rundgang können Kunstinteressierte in die sonst verschlossenen Ateliers blicken.
Denn der große Hype ist zwar vorbei, doch das Interesse ist weiterhin vorhanden. "Wenn man das halten kann, dass man so eine starke Attraktion ist, dass man das noch weitere zehn oder zwanzig Jahre hinkriegt, wäre mir das Vision genug", sagt Spinnerei-Geschäftsführer Bertram Schultze der deutschen Presse-Agentur. Momentan sieht das gut aus. Wie Lybke bei MDR KULTUR verrät, seien pünktlich zum Jubiläums-Spinnereirundgang die Parkplätze für Privatjets am Flughafen Leipzig-Halle ausgebucht.
Hinweise zum Spinnerei-Rundgang
Leipziger Baumwollspinnerei
Spinnereistraße 7
04179 Leipzig
Spinnerei-Rundgang:
Samstag, 3. Mai, 11 bis 20 Uhr
Sonntag, 4. Mai, 11 bis 18 Uhr
Highlights:
"Stille Reserve": Solo-Ausstellung von Neo Rauch in der Galerie Eigen + Art
"Verweile doch": Solo-Ausstellung von Rosa Loy in der Galerie Kleindienst
Solo-Ausstellung von Hartwig Ebersbach in der Galerie Jochen Hempel
Quelle: MDR KULTUR (Ulrike Thielmann), dpa; redaktionelle Bearbeitung: tsa