
Elementarschäden "Bau nicht dort, wo das Wasser dich wiederfindet"
Die Debatte über eine Pflicht zur Elementarschadenversicherung flammt regelmäßig auf. In der neuen Legislaturperiode könnte sie kommen. Wo liegen die Vor- und Nachteile?
ARD-Finanzredaktion: Immer wieder wird über eine verpflichtende Elementarschadenversicherung diskutiert. Was wären die Vorteile?
Oliver Brand: Was für eine Pflichtversicherung spricht, ergibt sich, glaube ich, ziemlich klar aus der Abwicklung der Schäden im Ahrtal 2021. Da hat es durchaus Gebäude gegeben, die gegen Elementarschäden versichert waren, so dass Versicherungsleistungen ausgekehrt wurden. Diejenigen, die ebenfalls hätten Versicherungsschutz zeichnen können, dies aber - warum auch immer - nicht getan haben, schreien in einem solchen Fall ganz regelmäßig nach der helfenden öffentlichen Hand. Und wenn gerade Wahlkampf ist, was ja 2021 der Fall war, dann finden Sie keinen Politiker und keine Politikerin, der oder die nicht sagt, man müsse da helfen.
Die öffentliche Hand kann und will aber natürlich nicht bei jedem Schadensfall aushelfen - wie zum Beispiel in Bayern 2024 wieder gesehen. Wir erfahren gerade, dass der Staat sehr große Summen für andere Zwecke, für Infrastrukturmaßnahmen oder Verteidigung, aufwenden muss. Da kann er nicht immer noch Nothelfer spielen. Und Naturkatastrophen wie diejenige im Ahrtal treten natürlich in Zeiten des Klimawandels häufiger auf. Die Pflichtversicherung versucht, dieses Problem zu eliminieren, indem jeder verpflichtet wird, Versicherungsschutz zu zeichnen.

Kosten für Elementarschäden werden steigen
ARD-Finanzredaktion: Und was spricht dagegen?
Brand: Wenn ich einer Pflichtversicherung unterliege, dann komme ich da nicht wieder raus - und zwar egal, wie sich die Prämien entwickeln. Das ist eines meiner Bedenken und das Bedenken vieler. Zum Beispiel würden dann auch Mieterinnen und Mieter über ihre Nebenkosten mehr zahlen müssen - und zwar erheblich. Es gibt nämlich zwei Faktoren, die die Kosten für Elementarschäden weiter treiben werden. Das ist einmal die Tatsache, dass sie infolge des Klimawandels häufiger auftreten und größere Schäden zur Folge haben. Außerdem steigen die Schadensbeseitigungssummen, weil die Reparatur von Gebäuden schlichtweg teurer wird durch Inflation, Mangel an Baustoffen und Mangel an Personal.
Darüber hinaus gibt es in Spanien, in der Schweiz und in Frankreich Systeme, die eine Pflichtversicherung für Elementarschäden vorsehen. Ein niederländischer Wissenschaftler hat sie sich jüngst einmal daraufhin angeschaut, welche Siedlungsströme sie auslösen. Also, wohnen in Frankreich mehr Leute in hochwassergefährdeten Gebieten als in Deutschland? Die Antwort seiner Studie ist ein flagrantes Ja. In Deutschland ziehen die Leute nicht so häufig, in solche Gebiete, gerade wenn sie neu bauen, weil ihnen ihr Gebäudeversicherer sagt: "Du kannst da gerne deine Villa hinbauen, aber versichern tun wir die nicht!"
In Hochwasserzone Vier zum Beispiel, in der alle zehn Jahre ein Hochwasser zu erwarten ist, bieten viele Versicherer überhaupt keinen Versicherungsschutz an, und deswegen werden dort auch kaum Häuser gebaut. Es verbleibt natürlich ein Problem mit den Bestandsimmobilien, aber bei dem gewaltigen Neubauprogramm in Deutschland lautet die eigentliche Frage: Wie lenken wir zukünftige Siedlungsströme? Und ein solcher Effekt fällt bei Pflichtversicherungen weg, weil die Leute in weniger gefährdeten Gebieten die Leute in stärker gefährdeten Gebieten quersubventionieren würden.
"Anreize geben, klimavernünftig zu wohnen"
ARD-Finanzredaktion: Immer mal wieder werben trotzdem einige für das Modell in Frankreich. Seit 1982 besteht dort ein solidarisches System zur Absicherung gegen Elementarschäden. Laut einer Studie des Zentrums für Europäischen Verbraucherschutz funktioniert das auch erstaunlich gut: Die Elementarschadenversicherung kostet nur durchschnittlich 26 Euro im Jahr, schützt 98 Prozent der Haushalte und entlastet die Staatsausgaben um ein Vielfaches. Wo ist der Haken?
Brand: Zum einen hatte ich ja schon geschildert, dass es negative Siedlungseffekte auslöst. Es gibt keinen Anreiz für die Menschen, sich zu überlegen, ob sie eigentlich klimagefährdet wohnen oder nicht, weil alle einander wechselseitig quersubventionieren, sodass es in Frankreich vergleichsweise viele gedeckte Schäden sind. Insgesamt ist die Versicherung der Elementargefahren daher für die Franzosen eigentlich sehr teuer. Die bezahlen dieses System mit Aufschlägen auf ihre Feuerversicherungs- und auch auf ihre Hausratsversicherungsprämien.
Der letztere Teil wird schon mal oft verschwiegen. Kurioserweise hat das französische System den Ruf, sensationell günstig zu sein - 26 Euro pro Versicherten im Jahr ist eine häufig genannte Zahl. Seit dem 1. Januar sind es freilich schon 41 Euro. Auch das erscheint auf den ersten Blick gering im Vergleich zu dem, was ein entsprechender Versicherungsschutz in Deutschland kosten würde und im Vergleich zu dem, was bei uns die staatliche Hand aufwenden muss, wenn sie für Elementarschäden aufkommt.
Was dabei aber verschwiegen wird, ist, dass das französische System seit 2015 hochdefizitär ist. Das Defizit betrug im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro. Bislang konnte es noch aus Reserven gedeckt werden. Wie hohe Reserven hat jetzt aber der staatliche steuerfinanzierte Rückversicherer noch? 1,8 Milliarden Euro. Das reicht gerade noch für ein Jahr. Dann muss der Steuerzahler nochmal nachschießen. Und die Milliardenausstattung stammt ja bereits vom Steuerzahler.
In Wirklichkeit haben wir es also in Frankreich ebenfalls mit einem steuerfinanzierten Ausgleich von Elementarschäden zu tun - nur eben mit einem verdeckten. Wir sollten das in Deutschland vielleicht anders machen und Risiken prinzipiell von denen tragen lassen, die sie auch verursachen. Und wir sollten auch manchmal sagen, hier gibt es keinen oder nur sehr teuren Versicherungsschutz, um den Leuten Anreize zu geben, klimavernünftig zu wohnen.

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Folge 8: Gut abgesichert streiten und reisen (21. Mai)
Bonusfolge: Hinter den Kulissen - wie Versicherungen ticken (offen)
Versicherungsbranche nicht zwingend für Pflicht
ARD-Finanzredaktion: Befürworter meinen oft, dass die Preise der Versicherungen durch eine Pflicht sinken könnten - weil es mehr Einzahler gibt und das Risiko vergemeinschaftet wird. Was entgegnen Sie denen?
Brand: Wenn dem so wäre, müsste die deutsche Versicherungswirtschaft ja die erste sein, die sich für eine Pflichtversicherung von Elementarschäden stark macht. Der deutschen Versicherungswirtschaft würden schließlich Millionen von Verträgen, die sie derzeit nicht abschließen kann, in den Schoß geworfen. Wenn man damit Geld verdienen könnte, würde ich jedenfalls sagen: 'Prima, mache ich.' Die deutsche Versicherungswirtschaft sagt das aber nicht. Und das zeigt eigentlich ziemlich deutlich, dass sie fürchtet, dass eine Pflichtversicherung der angedachten Art sich ökonomisch nicht rechnet - weder für die Versicherungswirtschaft selbst noch für ihre Kunden.
Das Argument, das Sie genannt haben, ist auf den ersten Blick überzeugend: Ich ziehe mehr Personen in die versicherte Gemeinschaft, verschaffe mir also mehr Prämieneinnahmen. Wenn die Anzahl der verwirklichten versicherten Ereignisse auf dieser Grundlage gleich bliebe oder nur moderat stiege, hieße das in der Tat, dass eine kleine Summe von Schäden auf mehr Köpfe verteilt würde, sodass der Versicherungsschutz für alle billiger würde. Das Problem ist, dass die Schäden keinesfalls sinken werden. Denn die Leute denken häufig nur an das Risiko einer Überschwemmung, wenn sie in der Nähe von Flüssen leben. Das ist aber ein großer Irrtum.
Ein mindestens ebenso großes Problem sind unsere Kanalisationen. Sie sind nicht für die Art von Regen gebaut worden, die wir heute sehen, den Starkregen, den sie nicht überall fassen können. Kanalisationsüberflutungen drohen daher überall im Land. Es gibt natürlich Regionen, die stärker und die weniger stark betroffen sind, aber eigentlich keine Region in Deutschland, die sagen dürfte, Überschwemmung wird für uns gar kein Problem sein. Daher wird auch der erhoffte Effekt, dass wenn alle versichert sind, auch die Prämienlast für alle sinken könnte, nicht eintreten.
Was ist eine Opt-Out-Lösung?
ARD-Finanzredaktion: Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) fordert statt einer Pflichtversicherung Konzepte zur Klimafolgenanpassung und Investitionen in Prävention. Und er plädiert für die sogenannte Opt-Out-Lösung. Das bedeutet, dass alle Kunden grundsätzlich ein Versicherungsangebot inklusive Elementarschutz erhalten sollten - dieser zusätzliche Schutz aber aktiv abgewählt werden kann. Was sagen Sie dazu?
Brand: Der Opt-Out des GDV heißt: Entweder ich habe ich vollen Elementarschutz oder ich entscheide mich dagegen und habe gar nichts. Ich halte dieses Modell nicht für den Königsweg. Denn: Wer entscheidet sich für einen Opt-out? Natürlich die Leute, die mit besonders hohen Prämiensprüngen zu rechnen haben. Und das sind diejenigen, bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Schäden eintreten werden.
Wenn die sich aber alle für den Opt-Out entscheiden, dann hätte man sich die ganze Mühe um die Einführung einer Pflichtversicherung auch sparen können. Dann kommen diejenigen, die sich für einen Opt-Out entschieden haben, nämlich trotzdem wieder hilfesuchend zu Vater Staat gelaufen. Der GDV glaubt, dass man die Leute verpflichten kann, dass, wenn sie sich für den Opt-Out entscheiden, sie dann zugleich effektiv verzichten, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das scheint mir zivilrechtlich allerdings kaum möglich zu sein. Wenn man über einen Opt-Out nachdenkt, dann müsste es ein solcher sein, bei dem die Optierenden nicht vollkommen ohne Schutz dastehen, sondern zumindest einen Basisschutz erhalten.
"Wir hätten von den Australiern lernen müssen"
ARD-Finanzredaktion: Es gibt auch eine Lösung im Markt, die ganz gut klingt. Ein bestimmter Versicherer bietet Hausbesitzern, die die Elementarschadenversicherung ablehnen, trotzdem einen Mindestschutz bei Naturkatastrophen. Quasi automatisch. Aber: Es gibt eine Selbstbeteiligung von 100.000 Euro, wenn das komplette Haus zum Beispiel zerstört wird und wieder aufgebaut werden muss. Dadurch werden die Beiträge aber bezahlbar. Was meinen Sie?
Brand: Ich kenne das spezielle Produkt nicht genau. Ich gehe aber davon aus, dass das ein ganz normaler Wohngebäudeversicherungsvertrag ist, in dem eine Wiederaufbaupflicht drinsteht. Das heißt, ich muss das Geld, was ich vom Versicherer bekomme, zum Wiederaufbau der Immobilie verwenden und muss 100.000 Euro selber finanzieren. Wenn das der Fall ist, halte ich diese Lösung nicht für sinnvoll.
Warum nicht? Das Ahrtal ist auch deswegen ein Desaster, weil wir die Menschen, auch wenn sie staatliche Hilfe in Anspruch genommen haben, zum Wiederaufbau an genau dem Platz, wo das zerstörte Haus gestanden hat, verpflichtet haben. Nur rauscht die Ahr dort in absehbarer Zukunft wieder durch - und wir stehen genau da, wo wir 2021 gestanden haben.
Da hätten wir von den Australiern lernen müssen. In der Provinz Queensland - das ist diejenige, die am meisten von Überflutungen heimgesucht wird - gibt es auch eine Wiederaufbaupflicht, wenn man staatliche Hilfe in Anspruch nimmt, aber eine Wiederaufbaupflicht an einem anderen Ort, weil man in Queensland sagt: Bau nicht dort, wo das Wasser dich sicher wiederfindet. Wir geben dir ein anderes Stück Land, was du benutzen kannst, dein Haus wieder aufzubauen.
Wäre ein "Basisschutz" eine Alternative?
ARD-Finanzredaktion: Und welche Lösung präferieren Sie, um die Quote der Versicherten gegen Naturgefahren zu erhöhen?
Brand: Eine Lösung, die ich persönlich präferiere, besteht darin, dass ich - wenn ich mich gegen einen Vollschutz bescheide, weil der mir zu teuer wird - dann in einen subsidiären Schutz zurückfalle: eine Existenzsicherungsversicherung von 100.000 Euro zum Beispiel. Das ist so eine Summe, die mal in Expertenkreisen zirkuliert worden ist. Das reicht natürlich nicht, um Häuser wieder aufzubauen. Es ist aber so eine Art Neustartversicherung. Damit habe ich eine Kapitalsumme, mit der ich erst mal wirtschaften kann, mich neu orientieren kann und mir überlegen kann, wie ich mein Leben organisieren will. Das würde den Druck auf die öffentliche Hand, im Notfall finanziell auszuhelfen, deutlich mindern.
Dieser "Basischutz" in Höhe von 100.000 Euro - das hat die Deutsche Aktuarvereinigung mal ausgerechnet - lässt sich tatsächlich für eine sehr geringe Prämie anbieten, die im niedrigen zweitstelligen Bereich pro Jahr liegt. Das scheint mir ein Aufwand zu sein, der selbst bei Umlage auf Mieterinnen und Mieter nicht zur Überforderung führt, sodass diese gestufte Pflichtversicherung, wie ich sie vielleicht nennen würde, aus meiner Sicht eine gute Lösung wäre.
Wenig politischer Widerstand gegen Pflichtversicherung
ARD-Finanzredaktion: Was glauben Sie, wie geht es nun weiter?
Brand: Ich glaube, dass sich der GDV bewegt, was seine Position anbelangt - vielleicht sogar in die Richtung, die mir vorschwebt. Denn bislang gab es zumindest eine Partei im Deutschen Bundestag, die der Pflichtversicherung insgesamt skeptisch gegenüberstand. Das war die FDP - die sitzt einstweilen aber nicht mehr als politische Kraft im Bundestag. Stattdessen bilden wahrscheinlich zwei Parteien die Regierung, von der die eine - die SPD - einen strengen Pflichtversicherungsschutz nach französischem Vorbild befürwortet, und die andere - die CDU/CSU - zumindest eine irgendwie geartete Opt-Out-Lösung. Deswegen gehe ich davon aus, dass der Bundestag sich diesem Thema aufgrund des fortschreitenden Klimawandels noch in dieser Legislatur widmen wird und dass der GDV seine Position der neuen politischen Großwetterlage anpassen wird.
Die möglichen Regierungsparteien haben im Bundestag jetzt auch keine größeren Widerstände gegen eine Pflichtversicherung zu befürchten. Wenn man sich die Parteiprogramme anschaut, zeigt sich ein ziemlich einheitliches Bild: Die AfD ist für eine Pflichtversicherung. Die Grünen sind für eine Pflichtversicherung. Die SPD ist für eine Pflichtversicherung, bei der Linken weiß ich es ehrlich gesagt nicht. Aber schätzungsweise sind sie nicht dagegen. Und die CDU/CSU ist zumindest für eine modifizierte Pflichtversicherung.
Was soll da schon rauskommen? Es gibt keine nennenswerte Opposition gegen eine Pflichtversicherung, der nächste Großschadensfall kommt sowieso - und daher kommt auch eine Art Pflichtversicherung. Hoffentlich nicht ohne baurechtliche und präventive Flankierung.
Das Gespräch führte Till Bücker, ARD-Finanzredaktion, für den Podcast "Gold & Asche: Projekt Versicherung". Das Interview wurde für die schriftliche Fassung redaktionell bearbeitet.